1.-August- Rede in der St. Laurenzenkirche, St. Gallen, 2007

Ankunft


Diese Welt ist die Welt der Migrantinnen und Migranten.

Jeglicher Weg oder jegliche Reise endet irgendwann einmal mit der Ankunft. Dann begegnen sich fremde Personen, Welten oder Kulturen. Und in diesem Moment fängt die Integration an, eine Rolle zu spielen. Integration ist ein mühsamer Weg für beide Seiten. Ohne Brücken zu bauen zwischen den Kulturen, geschieht dieser Prozess nicht von selbst. Hier und heute in der Schweiz wollen die Einheimischen ihre Ruhe. Deswegen wohnt man am Rosenberg oder in St. Georgen oder im ruhigen Stadtteil. Viele Einheimische klagen über die Ausländer, sie wollten sich nicht anpassen, sie würden das soziale System ausnutzen, sie würden als Raser und als Gewalttätige auffallen. Die Ausländer selbst sind aber in einer Leere zwischen zwei Welten stecken geblieben. Die Stütze ihres Ursprungs ist weggefallen. Aus ökonomischen Gründen oder um vor Unheil zu fliehen ist man hierher gekommen. Das bisherige Leben ist aus dem Kontext gerissen. Ausländer sind mit zahllosen neuen Möglichkeiten konfrontiert, die sie überfordern. Sie sind oft traurig und/oder einsam.

Was sollen wir tun, um dieses Zauberwort «Integration» mit Inhalten zu füllen?

Integration muss Zugang ohne Diskriminierung schaffen; Partizipation ohne Wenn und Aber und Massnahmen, die helfen, so genannte Schwache zu ermutigen, zu motivieren und zu bewegen. Die Herstellung von Harmonie ist ein Bedürfnis und eine Aufforderung zugleich, dies weil der Aufbruch und der Weggang ins Unbekannte real Verzweiflung und ein hartes Leben bedeuten können. Es ist ein langer Weg. Von der Hoffnung, die Welt ein bisschen entdecken zu können, bis zur bitteren Realität, wo am Schluss ein kalter Empfang erlebt wird und die erhoffte Wärme nicht mehr spürbar wird. Das macht uns nicht nur unsicher, sondern wirklich traurig. Aber für den Menschen ist es tatsächlich wichtiger in der Gesellschaft erwünscht zu sein, als das tägliche Brot zu haben. Er hat seine Identität und ist ständig auf der Suche nach ihr. Alles ist so komplex und verwirrend. Identität ist eine Summe aus vielen verschiedenen Lebensschichten. Es ist nicht notwendig die vertraute Tradition, die eigene Geschichte, die persönliche Entwicklung, die eigene Familie und die Familie im traditionellen Sinn zu verwerfen, um eine neue Identität zu finden. Die Suche der neuen Identität ist ein Prozess. Etwas Unantastbares, stetes, ein nie beendetes Werk – eine ständige Baustelle. Es ist in der globalen Welt und der Ökonomie unwichtig, nicht massgeblich oder egal, ob jemand Coca-Cola in der Appenzeller Volkstracht oder im billigen Joggingtrainer konsumiert.

Kompromisse, Zurückhaltung, Unauffälligkeit, Abstand, interreligiöser Friede sind die positiven Werte, die uns Ausländer begleiten. Gewaltbereitschaft, Unruhe, Intoleranz, etwas Barbarismus und Unehrlichkeit sind das Potenzial, das viele in die Schweiz importieren. «D' Schwiz» und die Anderen. Kälte und Spontanität. Ernsthaftes Gesicht und Lächeln, ohne effektive Sorgen dabei zu haben. Zwei Welten, zwei kulturbedingte Vorgaben, zwei Dimensionen. Einerseits Geborgenheit, anderseits Bereicherung. Somit entsteht Treffen, Auseinandersetzung und Angst. Warum sind Begegnungen zwischen diesen beiden Welten so selten? Warum versuchen wir nicht, anderen zuerst zuzuhören, ohne Eile, ohne so rasch zu vergessen, dass unser Gesprächspartner doch ein Mensch ist wie wir? Warum Kommunikation ohne richtigen Inhalt und Sinn?

Jeglicher Krieg fängt in unseren Gedanken an. So wie unsere Gedanken sind, so sind auch unsere Taten. Ein serbischer, fast unbekannter Schriftsteller hat einmal gesagt: «Es haben mich die zu heftigen, zu lauten Worte getötet.» Solche Tötungsdelikte passieren öfters als wir dies überhaupt realisieren. Die von uns kreierte Welt der Eile ist wie ein Ungeheuer. Leistungsdruck und Leistungsgesellschaft über alles. Wir sind ständig auf der Suche nach verborgenem, verlorenem oder nicht existierendem Reichtum. Doch Reichtum ist in uns selbst. Wir haben nur «kei Ziit», diesen Reichtum zu finden.

Wie komme ich zurück an mein Ufer und zu mir selbst? Wer bin ich? Ein Eingewanderter, ein Ausländer. Ein Mensch mit Migrationshintergrund, eine gut ausgebildete Person oder einfach ein Jugo? Und so stosse ich an meine Grenze. Dass diese Grenze mit einem Schichtsystem verbunden ist, ist mir klar. Was ich nicht so richtig verstehe ist, warum man sich wundert, weshalb die Jugos oder «homo balcanicus» so laut reden. Man versucht, sich aus der unterdrückten Position hervorzuheben. Und das geht nicht so einfach. Ich kann bewahren, was eigentlich spezifisch mein ist, aber in der Tat bin ich Teil des Gesamten, der neuen Umgebung. Somit werden sich verschiedene Identitäten miteinander an einem Ort verbinden. Und weil jeder auf seine Eigenständigkeit beharrt, ist alles voll von Konflikten. Um die Ankunft von Beginn an zu klären und die Umgebung zu verstehen, scheint mir wichtig, sich immer wieder eine christliche Position vor Augen zu führen: «Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles nützt mir. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.» Erster Brief an die Korinther (6. Kapitel, Versus 12) Mit der Ankunft ist der «Crash of civilization» nicht vorausgeplant. Aufgrund des spezifisch sozialen Kontexts, einer anderen Schichtzuteilung, unkodifizierten Rechtssystemen und Blutrache, einer anderen industriellen Entwicklung, oder einem anderen ethno-zentrischen Gedankengut, das aufgrund der politischen Geschichte entstanden ist, sind auch die Handlungsweisen, die Orientierung und die Mentalität definiert. Um eine friedliche Konstellation herzustellen, erwähne ich erneut den Brief an die Korinther Kapitel 2, Versus 12: Dort steht nämlich: «Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist; das bereitet Gott denen, die ihn lieben.» Wenn wir diese Maxime bei der Ankunft und beim Empfang und auch später nie aus den Augen verlieren, würden wir uns gegenseitig etwas mehr tolerieren.

Vica Mitrovic

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